Samstag, 9. September 2017

Liebevoll Grenzen setzen - oder: Muss Strafe sein?

Wenn ich mit anderen Eltern spreche, merke ich immer wieder: Dieses Thema beschäftigt fast alle. Und kein Wunder, denn es betrifft so stark unseren Alltag, so viele Bereiche und Kinder in nahezu allen Altersgruppen! Deshalb habe ich in diesem Artikel wichtige Gedanken, von denen einige bereits in kürzeren Blogs beschrieben wurden, zusammengefasst und um hilfreiche Tipps und Strategien ergänzt.

„Kinder brauchen Grenzen“ titelt ein berühmter Erziehungsratgeber und dieser Haltung würden wohl die meisten Eltern grundsätzlich zustimmen. Doch wie genau können wir als Eltern liebevoll und doch wirksam Grenzen setzen?
Der Volksmund behauptet „Strafe muss sein“  -  Studien haben jedoch erwiesen, dass Strafen meistens nicht dazu führen, dass Kinder sich dauerhaft besser benehmen. Und, dass Kinder, die zuhause oft bestraft werden, sich zwar häufig zuhause besser anpassen, dafür aber außerhalb von zuhause besonders viele Regeln brechen.
Der Psychologe Alfie Kohn nennt in seinem Buch "Liebe und Eigenständigkeit" weitere Nachteile von Strafen, z.B.:

- Bestrafte Kinder fühlen sich gedemütigt, was Wut und Rachegefühle auslöst. Auch die Beziehung zu den Eltern, die mal liebevoll und freundlich sind und dann absichtlich Leid zufügen, wird belastet.

- Je älter unsere Kinder werden, desto mehr Freiräume haben sie, sich unseren Strafen zu entziehen, d.h, Strafen verlieren mit der Zeit ihre Macht. Wenn der Einfluss der Eltern dann nur auf Strafen beruht, haben sie ein Problem. Eine wichtige Frage, die Eltern sich stellen sollten:  Möchte ich, dass meine Kinder mit einem Verhalten aufhören, weil sie Angst vor der Strafe haben? Oder möchte ich, dass ihnen meine Meinung wichtig ist und es sie wirklich interessiert, warum ich etwas falsch finde – weil sie mich respektieren und ihnen meine Zustimmung etwas bedeutet? Ich kann den Fokus nur in eine Richtung lenken!

- Strafen bewirken in der Regel nicht, dass ein Kind wirklich einsieht, dass sein Verhalten falsch war. Meist führen sie nur zu Wut auf die Eltern und dazu, dass das Kind das bestrafte Verhalten in Zukunft besser verheimlicht. Es hat dann nicht gelernt, dass sein Verhalten falsch war, sondern, dass es sein Verhalten besser vor den Eltern verstecken muss.

- Strafen schwächen das moralische Verhalten von Kindern: Wir meinen oft, wir müssten strafen, damit Kinder sozialer handeln. Doch das Gegenteil ist der Fall: Je mehr wird strafen, desto mehr konzentrieren sich die Kinder auf die Folgen, die ihr Verhalten auf sie selbst hat: Welche Strafe riskiere ich, wenn ich zuschlage?  Sie wägen also zunehmend den eigenen Nutzen bzw. Schaden ab, statt zu verstehen, warum ihr Verhalten falsch ist. Strafen lenken also eher ab.

- Strafen vermitteln die Lektion: Es ist okay, anderen Leid zuzufügen, um sich durchzusetzen. Das ist die Botschaft, die Kinder lernen, wenn sie oft bestraft werden. Denn Eltern sind die wichtigsten Vorbilder für ihre Kinder. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass Eltern niemals körperliche  Strafen wie Ohrfeigen, Schläge, Klapse, etc. einsetzen sollten. Die  Forschung zeigt deutlich, dass Kinder, die körperliche Gewalt  von ihren Eltern erfahren, selbst aggressiv werden und oft psychische  Probleme entwickeln.
Auch Schreien ist übrigens eine Form nicht-körperlicher Aggression, die Kinder stresst und ihnen schadet. Wenn Eltern viel schreien, herrscht ein aggressives Familienklima, das Kinder oft auch durch körperliche Gewalt umsetzen. Ein sehr hilfreiches Buch: „Erziehen ohne auszurasten“ von Sheila McCraith.

Um besser zu verstehen, warum Kinder sich so oft „daneben“ benehmen, hilft ein kurzer Blick auf die Gehirnentwicklung: Die untere Gehirnhälfte ist für  Emotionen und instinktives Verhalten zuständig, während die obere Gehirnhälfte planvolles, moralisches, „vernünftiges“ Verhalten steuert. Während das untere Gehirn bereits bei der Geburt weit entwickelt ist, ist das obere Gehirn erst mit ca. Mitte 20 vollständig ausgeprägt.
Das bedeutet: Vernünftiges und moralisches Handeln und die Kontrolle und Regulierung eigener Gefühle ist für Kinder und Jugendliche deutlich schwieriger als für uns. Die Gehirnhälfte, die dafür zuständig ist, ist einfach noch längst nicht voll funktionstüchtig und die emotionale Gehirnhälfte übernimmt oft die Oberhand.

Dies erklärt zum Beispiel Trotzanfälle, kindlichen Egoismus, „unvernünftiges“ Verhalten im Teenageralter usw. Das bedeutet nicht, dass wir unangemessenes Verhalten einfach hinnehmen. Aber es hilft uns, zu verstehen, warum es Kindern oft so schwer fällt, sich „zu benehmen“.
Daher ist es sinnvoll, Kindern erst einmal auf der emotionalen Ebene zu begegnen: Ruhiges Zureden, eine Umarmung oder ein sanftes Streicheln der Schulter, freundlicher Blickkontakt und einfühlsames Benennen der Gefühle, die gerade spürbar sind: Du bist gerade ziemlich wütend, oder? Du hast dir so viel Mühe gegeben und nun hat es doch nicht geklappt!“ oder „Ich merke, dass du traurig bist.“

Wichtig ist auch, bei Problemverhalten zu überlegen, welches Bedürfnis dahinterstehen könnte. Denn oft zeigen Kinder „schlechtes Benehmen“, wenn sie müde, gestresst oder gelangweilt sind. Oder, wenn die Eltern zu wenig Zeit haben, in der sie sich bewusst nur dem Kind zuwenden. Dabei ist es hilfreich, wenn bei mehreren Kindern auch immer mal jedes Kind einzeln Zeit mit einem Elternteil verbringen kann, um Eifersucht vorzubeugen.
Manchmal sind Konsequenzen unumgänglich – diese sind aber nicht mit Strafen gleichzusetzen. Konsequenzen sind Folgen, die sich automatisch aus einem Fehlverhalten ergeben (natürliche Konsequenzen, z.B. schlechte Noten, wenn das Kind trotz gutem Zureden nicht lernen will) oder zumindest in einem klaren Zusammenhang zum Verhalten stehen. Letztere sind logische Konsequenzen, z.B.:  Wer andere haut, kann nicht mitspielen oder: Wer die Hausaufgaben nicht gemacht hat, kann noch nicht fernsehen – weil diese Regel zuhause grundsätzlich gilt. Konsequenzen werden nicht einfach so aus Wut heraus verteilt, sondern ruhig, eher mitfühlend. Dazu werden mit dem Kind bestimmte Regeln und entsprechende Konsequenzen vorher besprochen und meist ist es auch sinnvoll, eine Verwarnung zu geben.
Wichtig: ist: Wenn zu häufig Konsequenzen genutzt werden, können sie wie Strafen wirken. Eine gute Faustregel, um einzuschätzen, wann Konsequenzen nötig sind: Dann, wenn wichtige Bedürfnisse anderer verletzt werden oder das Kind sich oder andere gefährdet.






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